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DF7TZ  > FCF      21.09.95 20:05l 145 Lines 9307 Bytes #-10467 (0) @ DL
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de DF7TZ @ DB0MWS.#BAY.DEU.EU  (Karl-Heinz)

to FCF @ DL

Von Franz, DK3SZ, einem Esperanto-Funkfreund von mir erhielt ich den Anstoss,
den folgenden Artikel, den ich an unsere Lokalpresse vor 4 Wochen gegeben
hatte, auch in dieser Rubrik zu veröffentlichen, weil es sicher den einen
oder anderen von Euch interessieren koennte:

Notizen  aus  Kaunas  Mitglieder  der  Aalener  Esperanto-Gruppe  beim  11.
Ökumenischen Esperanto-Kongreß

Mitglieder der Esperanto-Gruppe Aalen und Pfarrer Adolf Burkhard,  Direktor
der  Deutschen  Esperanto-Bibliothek  Aalen,  kamen in  dieser  Woche  tief
beeindruckt von einem Erlebnis besonderer Art aus Kaunas in Litauen zurück.
Dort ging der 11.  Ökumenische  Esperanto-Kongreß  (31.  Juli - 07.  August
1995)  mit der  Verabschiedung  von vier  Entschließungen  zu Ende.  Dieser
Kongreß wurde von den beiden konfessionellen Verbänden IKUE (Internationale
Katholische  Esperanto-Vereinigung) und KELI (Christlicher  Esperanto-Bund)
gemeinsam  veranstaltet und benutzte  selbstverständlich die internationale
und  neutrale  Sprache  Esperanto  als  Kongreß-Sprache.  Eine  Woche  lang
befaßten sich Christen der verschiedensten  Kirchen aus Litauen,  Lettland,
Estland,  Finnland, Polen, Ungarn,  Dänemark,  England und Frankreich, aber
auch aus  Deutschland,  Rußland  und Korea mit dem  konziliaren  Prozeß der
Kirchen und der  Vorbereitung  ihres  Beitrages  zur "Zweiten  Europäischen
Ökumenischen  Versammlung"  für Frieden,  Gerechtigkeit  und  Bewahrung der
Schöpfung, die "1997 in Graz" stattfinden wird.

Baden-Württemberger  waren maßgeblich an der Leitung der Tagung  beteiligt,
Pfarrer  Burkhardt aus  Weilheim/Teck  hatte zusammen mit Pfarrer  Bernhard
Eichkorn aus VS-Villingen die Gesamtleitung, Apotheker Karl Heinz Schaeffer
aus Aalen  organisierte  das Kongreßbüro und führte die Kasse.  Die Predigt
beim  Eröffnungsgottesdienst  in der Evang.-Luth.  Dreieinigkeitskirche  in
Kaunas   hielt   der    holländische    Pfarrer   Jacques   Tuinder,    den
Schlußgottesdienst mit der ungekürzten  Lima-Liturgie leitete Diakon Erikas
Leiconas  aus  Kaunas mit den oben  Genannten  und dem  Franzosen  Phillipe
Cousson.  Alle  Gottesdienste  einschließlich der Lieder (darunter zwei von
Kurt Rommel)  wurden in Esperanto  abgehalten  und ergaben erst dadurch den
echten  ökumenisch-feierlichen  Rahmen dieser  einzigartigen  Begegnung von
Christen aller Schattierungen.

Nicht von ungefähr wurde der jetzige Kongreß in Kaunas abgehalten, war doch
der gesamte  Grundbesitz der evangelischen  Gemeinde unter der sowjetischen
Herrschaft  beschlagnahmt  und dient bis heute Teilen der  Universität  von
Vilnius,  die in den  Gebäuden ihr  Kunstinstitut  untergebracht  hat.  Die
Kirche  selbst  wurde  nach  energischen  Eingaben  und mit  entscheidender
Unterstützung  durch eine vom 8. Ökumenischen  Esperanto-Kongreß  in Ungarn
gefaßten  Resolution  an die Gemeinde  zurückgegeben,  die anderen  Gebäude
jedoch nicht. Der 11. Kongreß erneuerte deshalb vor Ort mit seiner jüngsten
Eingabe  die  dringende  Bitte an die  Stadtverwaltung  von  Kaunas und die
staatlichen  Stellen,  für die vollständige  Besitzrückführung  die Wege zu
ebnen.  Die Universität von Vilnius verweist derzeit auf die von ihr in der
langen Zeit der  Beschlagnahme  getätigten  Veränderungen und Investitionen
und weigert sich vehement, weiteren Wiedergutmachungen zuzustimmen.  Selbst
Orgel,  Hochaltar und Kirchenbänke gehören nach wie vor der Universität, da
sie deren Restaurierung vorgenommen habe.

Eine   zweite    Entschließung    richtet   sich   an   den   französischen
Staatspräsidenten  Chirac  wegen  der  geplanten  Atombombenversuche,  eine
dritte an die  räumlich  und durch ihre  Mitglieder  in den  Balkankonflikt
verwickelten  Kirchen  mit dem Appell,  alles zu tun,  um den  Zerstörungen
Einhalt zu gebieten.

Am  ausführlichsten  fiel die vierte  Entschließung  aus,  die zugleich das
Thema der ganzen Woche  zusammenfaßt:  Friede,  Gerechtigkeit und Bewahrung
der  Schöpfung  im  Blick  auf  die  von  den  Kirchen   Europas   geplante
Nachfolgekonferenz des sogenannten  Konziliaren Prozesses.  Zu diesem Zweck
wurde jede Einzelveranstaltung der ganzen Woche mit einem Abschnitt aus dem
Schlußdokument  der  Basler  Versammlung  von  1989 in einer  fortlaufenden
Lesung ("Lectio continua", wie in den Klöstern) eröffnet.

Pfarrer  Bernhard  Eichkorn von der katholischen  Kirche hatte dazu aus dem
Dokument  alle  Stellen  herausgehoben,   in  denen  von  Gerechtigkeit  in
kultureller  Hinsicht  die Rede ist.  Dabei fiel auf,  daß die  sprachliche
Gerechtigkeit und Gleichberechtigung  nirgends auch nur erwähnt - wohl weil
man allenthalben die übliche Praxis für naturgegeben und unabwendbar  hält.
Daß man das Wetter nicht in die  Auflistung  einbezieht,  leuchtet ein - es
ist  ja  naturgegeben.  Genau  so  fatalistisch  nimmt  man  weiterhin  die
kulturell-sprachliche  Ungerechtigkeit  als  naturgegeben  hin;  die  einen
können  eben  ihre  Muttersprache  mit allen  damit  verbundenen  Vorteilen
einsetzen,  die meisten anderen müssen Sprachen verwenden,  die sie oft nur
unvollkommen beherrschen.  Die Praxis der Ökumenischen  Esperanto-Kongresse
zeigt jedoch ein anderes Modell - sprachliche  Gleichberechtigung,  bei der
sich  alle  Beteiligten  von  ihrem  Sockel  herunter  auf eine  gemeinsame
Plattform zu bewegen und  freiwillig  auf die von beiden Seiten her gebaute
Brücke  begeben.  Dieses  heute  schon  funktionierende  Modell  scheint so
revolutionär,  ja utopisch zu sein,  daß es leider nur zu selten  ernsthaft
auch nur erwogen wird. Die Christen,  die mit diesem Modell innerhalb ihrer
Verbände  IKUE  und  KELI  einzeln  und  gemeinsam  umfassende  Erfahrungen
gesammelt haben, drängen mit Nachdruck darauf, daß alle, denen es ernst ist
mit der im Basler Dokument  geforderten  kulturellen  Gerechtigkeit,  diese
Erfahrungen nicht länger unbeachtet lassen. "Die Phase des Experimentierens
ist längst vorbei, die Ergebnisse sind rundherum positiv.

Am Rande  des  Kongreß  hielt  Pfarrer  Burkhardt  an beiden  Sonntagen  in
Vertretung des  Ortspfarrers  die Predigt im Gottesdienst  der Ortsgemeinde
nach der auch in Litauen verwendeten deutschen  Perikopenordnung.  Satz für
Satz  wurden  die  Predigten  von Erikas  Leiconas  aus dem  Esperanto  ins
Litauische  übertragen.  Am Schluß gaben sich mehrere  Gottesdienstbesucher
als "Wolfskinder" zu erkennen. Leute aus Gumbinnen, Nemmersdorf, Königsberg
oder  anderen  Orten in  Ostpreußen,  die am Ende des  Krieges  ihre Eltern
verloren hatten und als Kinder von litauischen Familien aufgenommen wurden;
meist  tragen  sie  einen  litauischen  Namen - doch  wissen  sie,  daß sie
Deutsche sind.  Jonas Petreitis weiß,  daß er Hans Joachim Petereit ist. Es
waren aus ihrem Munde  erschütternde  Schicksale  zu hören,  besonders  die
deutschen  Kongreßteilnehmer können nicht verstehen,  daß unser Staat nicht
in der Lage sein  soll,  diesen  noch  überlebenden  200-250  Personen  ihr
Deutschtum  anzuerkennen.  Eine spontane  Einladung zum Bunten Abend nahmen
sie an und trugen mit deutschen Volksliedern zum Programm bei.

Für die katholischen  Teilnehmer  begann jeder Tag um 7 Uhr mit einer Messe
in der historischen Vytautas-Kirche,  meist in Konzelebration von Priestern
verschiedener  Länder auf Esperanto gehalten.  Wenige Wochen vorher war vom
Vatikan  das  amtliche  Meßbuch in  Esperanto  formell  der  Öffentlichkeit
übergeben worden. Der Vorsitzende der Europäischen Bischofskonferenzen, der
Prager  Erzbischof  Kardinal Vlk,  hatte in Olmütz (Olomouc) kurz zuvor vor
150  Teilnehmern  des  Katholischen  Esperanto-Kongresses  eine  Messe  auf
Esperanto gelesen.

Auf dem Weg zwischen den  Unterkünften  und dem  Tagungsort kam man täglich
mehrmals am Esperanto-Haus in der Zamenhof-Straße vorbei, wo der litauische
Esperanto-Verband  sein Domizil im ehemaligen Haus des  Schwiegervaters von
Dr.  Zamenhof hat.  Das Haus ist unverändert  erhalten und beherbergt neben
den  Büros  des   Esperanto-Verbandes   die   Redaktion   der   litauischen
Esperanto-Zeitung  und die  litauische  Esperanto-Bibliothek  mit ca.  3000
Titeln. Die Mitarbeiter der Deutschen Esperanto-Bibliothek in Aalen konnten
sich diese  Bibliothek  anschauen und den dortigen  Mitarbeitern  wertvolle
Ratschläge geben.  Im Gegenzug konnten die Aalener eine wertvolle  Sammlung
von ehemals illegalen  Esperanto-Zeitungen  in der Sowjet-Union  bewundern,
von denen eine sehr komplette Sammlung dort zur Verfügung steht.

Wenn man diese intensive Kongreßwoche zusammen faßt,  bleibt festzustellen,
daß alle  Teilnehmer gute Arbeit für Graz 1997 geleistet  haben.  Esperanto
hat seinen Beitrag in mehrfacher Hinsicht dazu geleistet.  Keine Zeit wurde
vertan im Warten auf Übersetzungen,  jeder Teilnehmer konnte sich von allen
anderen   verstanden   wissen  und  erfuhr  aus   eigenem   Erleben,   was,
international  gesehen,  Gleichberechtigung  ist.  Der nächste  Ökumenische
Esperanto-Kongreß  wird 1996 in  Szombathely  (Ungarn)  sein.  Das  nächste
größere Esperanto-Treffen ist vom 13.-15. Oktober das Esperanto-Seminar auf
Burg Niederalfingen im Kochertal.

Soweit der Artikel. Falls ich noch weitere Fragen beantworten sollte, stehe
ich gerne zur Verfuegung.
Vy 73 Karl Heinz, DF7TZ @ DB0MWS



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