OpenBCM V1.07b12 (Linux)

Packet Radio Mailbox

DB0FHN

[JN59NK Nuernberg]

 Login: GUEST





  
DG1DAC > ASTRO    14.05.04 19:08l 222 Lines 10148 Bytes #999 (0) @ DL
BID : E54DB0FBB05H
Read: GUEST
Subj: ESA: Huygens 2005 auf Titan
Path: DB0FHN<DB0THA<DB0ERF<DB0FBB
Sent: 040514/1652z @:DB0FBB.#NRW.DEU.EU [Dortmund, JO31RM, OP:DK1DO] BCM1.42
From: DG1DAC @ DB0FBB.#NRW.DEU.EU  (Christoph)
To:   ASTRO @ DL

Raumsonden-Landung auf einem Oel-Ozean

 Die Landung der ESA-Sonde "Huygens"
auf dem Saturnmond Titan im Januar 2005 duerfte im wahrsten
Sinne des Wortes wie geschmiert laufen

Auf Titan, dem zweitgroessten Mond im Sonnensystem, soll
Anfang 2005 die Raumsonde Huygens der Europaeischen
Raumfahrtagentur (ESA) landen. Zur Vorbereitung dieser
Mission wird der Saturn-Mond derzeit weltweit staendig
beobachtet. Juengst hat eine internationale Gruppe von
Wissenschaftlern die Oberflaeche des Trabanten mit bisher
unerreichter Klarheit und Schaerfe aufgenommen. Neue
Oberflaechenkarten sollen die Festlegung des Landeanflugs und
des Landeplatzes von Huygens erleichtern. Jetzt liegen die
ersten Ergebnisse vor. Gegenueber dem Wissenschaftsblatt "New
Scientist" erklaerte Martin Hartung von der Europaeischen
Suedsternwarte (ESO) in Chile, wo und wie Huygens landen
koennte.

23. Dezember 2004. Der Huygens-Lander hat sich gerade vom
Cassini-Orbiter getrennt. Drei Wochen waehrt der freie Fall
der irdischen Forschungssonde. Erst am Vormittag des 14.
Januar 2005 taucht die buechsenaehnliche Kapsel mit einer
Geschwindigkeit von 30.000 Stundenkilometern in die dichte
Gashuelle des geheimnisumwitterten Saturnmondes ein.

Bereits nach fuenf Minuten bremst die dichte
Stickstoffatmosphaere den fremden Eindringling auf rund 1.000
Kilometer in der Stunde ab, bevor sich in einer Hoehe von
rund 180 Kilometer zunaechst ein kleinerer Fallschirm oeffnet,
der den oberen Hitzeschutzschild wegzieht und Raum fuer den
ersten Hauptfallschirm freigibt. Dieser zweite Fallschirm
bremst Huygens schnell auf 370 km/h ab. Nach einer kurzen
Stabilisierungsphase loest sich anschliessend der grosse
Hitzeschutzschild und die eigentliche Sonde kommt zum
Vorschein.

Waehrend des zweieinhalbstuendigen Sinkfluges durch die
eisigen Stuerme des Saturnmondes schwebt Huygens mit
pausenlos arbeitenden Sensoren der Oberflaeche des  Titan
entgegen und analysiert die Umgebung und die chemische
Zusammensetzung der dunstigen Atmosphaere, sammelt Daten ueber
Temperatur, Luftdruck, Windrichtung, Windstaerke, elektrische
Eigenschaften, Wolkenbedeckungen und vieles andere mehr.
Nach dem Durchbrechen der Wolkendecke, quasi in der letzten
Phase des Abstiegs, nimmt ein Kameraauge die bislang
unbekannte Oberflaeche des Himmelskoerpers ins Visier und
funkt augenblicklich saemtliche Daten und Bilder an das
Mutterschiff, die dort zwischengespeichert und dann zur Erde
gesendet werden.

Sanft schwebt der kleine Roboter seinem Zielgebiet, einem
fremden Ozean, entgegen, legt eine bilderbuchmaessige Landung
hin und schafft es sogar, sich 30 Minuten ueber "Wasser" zu
halten, bevor er in den "titanischen" Fluten versinkt.


"Wasserung" in ausserirdischen Gefilden

Sollte Huygens in acht Monaten wirklich ein derartig
perfekter Abstieg und eine solch geniale Landung gluecken,
haette auf jeden Fall das erste Mal in der
Raumfahrtgeschichte ein irdischer Flugkoerper mit einem
ausserirdischen Ozean Tuchfuehlung aufgenommen. Es waere zudem
das erste Mal, dass Astronomen einen genauen Blick hinter
dem staendig praesenten dichten orange-braunen Wolkenteppich
geworfen und dabei in Erfahrung gebracht haetten, woraus die
Oberflaeche des "mystischen" Saturnmonds besteht, welche
Umweltbedingungen dort herrschen und wie lange Huygens nach
der Landung auf dem unwirklichen Terrain wenigstens
theoretisch ueberleben kann.

Immerhin sind sich die Forscher in einem Punkt einig. Wenn
das ESA-Gefaehrt auf dem fernen Mond mit einer berechneten
Aufprallgeschwindigkeit von 20 km/h aufsetzt, wird dieses
nicht etwa festen Boden touchieren, sondern vielmehr mit
einem Meer in Kontakt treten, das mit einem irdischen Meer
gleichwohl wenig gemein hat.

Wie das englische Wissenschaftsmagazin  New Scientist in
seiner aktuellen Ausgabe (8. Mai 2004, S. 18) berichtet,
glaubt der deutsche Astronom Markus Hartung von der
Europaeischen Suedsternwarte (  ESO) in Chile, der kuerzlich
mit einem ESO-Team mit einem der vier 8,2-Meter-Spiegel eine
detaillierte Observation durchfuehrte, dass der Huygens-
Lander Anfang naechsten Jahres bei seiner Saturnmond-Visite
sehr wahrscheinlich auf einem Ozean aufsetzen wird, der aus
oeligem Kohlenwasserstoff besteht.

"Korrekt haette es heissen muessen: 'Ozean aus fluessigen
Kohlenwasserstoffen' oder eben einfach 'Oel-Ozean'",
relativiert Hartung gegenueber Telepolis die seiner Meinung
nach etwas irrefuehrende Formulierung "ocean of hydrocarbon
oil", die im New Scientist zu lesen ist. "Die chemische
Zusammensetzung von Oelen sind Kohlenwasserstoffketten, auch
verzweigt, je laenger, desto zaehfluessiger. Die einfachste
chemische Formel waere CH4 (Methan), nur das wuerde man nicht
unbedingt Oel nennen. In jenen hypothetischen Ozeanen aber
vermutet man laengerkettigere Kohlenwasserstoffe."


Minus 175 Grad Celsius kalte Titanoberflaeche

Hartung und etliche andere Kollegen beobachten zur
Vorbereitung der Huygens-Mission den Saturn-Mond schon seit
geraumer Zeit mit leistungsstarken Teleskopen. Mit dem Ziel
vor Augen, eine vollstaendige Karte der Oberflaeche Titans zu
erstellen und die Planung sowie den Landeanflug zu
optimieren, soll Titan auch in den kommenden Monaten
kontinuierlich anvisiert werden.

Bislang konnten die rund um den Globus verstreuten Teleskope
den Trabenten so einige Geheimnisse entlocken. So konnte
Voyager in der Stickstoffatmosphaere des Mondes nicht nur
zahlreiche Kohlenwasserstoffverbindungen wie Acetylen,
Ethylen, Aethan, Methylacetylen, Propan und Diacetlyen,
sondern auch Blausaeure nachweisen, welche als Grundlage fuer
die Bildung von bestimmten Bausteinen des Erbmolekuels  DNA
dient.

Vorlaeufig deutet nach Ansicht der Forscher jedoch nichts auf
die Anwesenheit von Leben auf Titan hin, befindet sich doch
der Saturnmond derzeit in einem Zustand, der dem der Erde
vor 4,6 Milliarden Jahren sehr aehnelt. Dennoch vermuten
Astrobiologen in der Atmosphaere des Saturnmondes reichlich
Aminosaeuren und Molekuele, die eine Vorstufe zum organischen
Leben darstellen und die fuer die Bildung von Leben
unabdingbar sind. Zumal kuerzlich ein US-Team mithilfe der
weltgroessten unbeweglichen  Arecibo-Radioantenne in Puerto
Rico entdeckte, dass ein grosser Teil der etwa minus 175 Grad
Celsisus kalten Titanoberflaeche von einem Ozean aus
verfluessigten Kohlenwasserstoffen bedeckt ist.

Genau dies konnten Markus Hartung (ESO) und Tom Herbst
(MPIA) im Rahmen einer sechstaegigen Observationssequenz im
Februar 2004 bestaetigen. Hierbei kam das im Infraroten
arbeitende Instrument NACO1 am Very Large Telescope (  VLT)
der ESO und ein neuartiges Zusatzgeraet zum Einsatz, das
speziell zur Untersuchung von Objekten mit einer
Methanatmosphaere entwickelt wurde. Mit diesem Geraet, dem
sogenannten "Spectral Differential Imagerö (SDI) 2, konnten
die Astronomen jene dichten Wolken aus Methan und anderen
Kohlenwasserstoffen durchdringen, die den Titan einhuellen
und in fast allen Wellenlaengenbereichen einen direkten Blick
auf seine Oberflaeche verhindern. Dabei gelang es ihnen,
Bilder in mehreren benachbarten Wellenlaengen zeitgleich
aufzunehmen.


"Drachenkopf" und "jagender Hund"

Die gesammelten Daten lassen nur einen Schluss zu: Bei den
hellen Strukturen mit hohem Reflexionsvermoegen handelt es
sich hoechstwahrscheinlich um von Eis bedeckte "Kontinenteö
oder Hochebenen, wobei die grossen, gleichmaessig dunklen auf
der Oberflaeche des Himmelskoerpers zu sehenden Strukturen
zweifelsfrei auf riesige Kohlenwasserstoff-Meere hindeuten.
Ausgehend von den vorliegenden Daten glaubt Hartung, wie er
gegenueber dem "New Scientist" zum Ausdruck brachte, dass die
ESA-Sonde, sofern sie der vorgesehenen Flugbahn folgt, in
dem so genannten Drachenkopf-Ozean landen wird, einem
meeraehnlichen Gebilde, das ausschliesslich aus
Kohlenwasserstoffen, vornehmlich Methan besteht.

Zur besseren Orientierung haben die Wissenschaftler den
dunklen Regionen, die viele Sonnenlicht absorbieren und sehr
wahrscheinlich Ozeane sind, mit den vorlaeufigen Namen
"Drachenkopf", "jagender Hund" und "liegendes H" versehen.
Endgueltige, offizielle Namen werden erst zu einem spaeteren
Zeitpunkt von der Arbeitsgruppe zur Benennung der Objekte im
Sonnensystem der Internationalen Astronomischen Union (IAU)
vergeben.

Auf jeden Fall sei Huygens, so Hartung, dafuer konstruiert,
in dem ausserirdischen Meer eine Zeitlang zu schwimmen.
Einige Instrumente seien sogar besser fuer eine Analyse von
Fluessigkeiten als von Feststoffen geeignet. Tatsaechlich
scheint die 343 Kilogramm schwere Eintrittssonde derart
robust, dass sie den harten Aufschlag, der sowohl auf dem
Festland als auch in Form einer "Wasserung" in einem
moeglichen Oel-See erfolgen koennte, wenigstens fuer kurze Zeit
ueberleben kann. Garantiert werden drei Sekunden, erhofft
dagegen 30 Minuten.


Wolkenbilder von einer unwirklichen Welt

Binnen vier Jahre soll Cassini den Saturn in einer Distanz
von 180.000 bis 420.000 Kilometern insgesamt 76 Mal
umkreisen und dabei auch moeglichst viele seiner 30 Monde ins
Visier nehmen. Am 26. Oktober 2004 erfolgt sodann der erste
gezielte Titan-Nah-Vorbeiflug in nur 1.200 Kilometer Distanz
und am 13. Dezember 2004 der zweite, gezielte aus 2.350
Kilometern Abstand zum Titan.

Zwar wird die Kapsel bereits am 23. Dezember 2004 abgesetzt;
die Landung auf der Mondoberflaeche erfolgt aber erst am
14.Januar 2005. Vorgesehen ist, dass die Landesonde auf der
kargen Titan-Oberflaeche zurueckbleibt, waehrend Cassini sein
vierjaehriges Forschungsprogramm fortsetzt und Saturn mitsamt
lunarem Anhang weiter unter die Lupe nimmt.

Was auch immer Huygens im naechsten Jahr an Bit und Bytes gen
Erde abstrahlen wird: Das technisch komplexe und
anspruchsvolle, fernab der Erde durchgefuehrte Unternehmen
verspricht eine hoechst spannende Zeitreise in die
Vergangenheit zu werden, eine Zeitreise zu den Anfaengen des
irdischen Lebens, dahin zurueck, wie die Erde einmal
ausgesehen haben mag, als der Homo sapiens sapiens noch in
weiter, weiter Ferne war.

Quelle:
telepolis - Harald Zaun

-----------------------------------------------------

Gruss Christoph - dg1dac




Read previous mail | Read next mail


 18.05.2024 18:06:25lGo back Go up