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DL1BMF > DAFK 14.04.02 14:40l 135 Lines 6910 Bytes #-8365 (0) @ DL
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Subj: Nahostkonflikt (ZDF-Interview)
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from: DL1BMF @DB0WHV.#NDS.DEU.EU (Fred Milkereit) to: DAFK @DL
Hallo Klaus (DL8OL), dein Essay ueber die Situation im Nahen Osten
deckt sich mit einem Online-ZDF-Interview, welches vor ein paar Tagen
unter der Ueberschrift: "Es kommt einzig und allein auf die USA an",
veroeffentlicht wurde.
Auch spiegelt sich hierin der Kommentar von Manne (DL4MP) wider, der
zurecht anmahnt, dass Weltpolitik im Amateurfunk kein Tabu sein darf.
(MfG Fred Milkereit)
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Der israelische Friedensaktivist Urs Avnery zum Problem der Deutschen,
an Israel Kritik zu ueben
"Reinsten Horror" haben die UN die verfahrene Situation im Nahen Osten
genannt. Trotz aller Vermittlungsbemuehungen nimmt das Blutvergießen
kein Ende. Urs Avnery, Gruender des israelischen Friedensblocks
"Gush Schalom" und diesjaehriger Traeger der Carl-von-Ossietzky-Medaille
der Stadt Oldenburg, spricht im heute.online-Interview ueber die
Situation in Israel und die Aussichten auf Frieden.
von Elisabeth Jaenndl, 11.04.2002
heute.online:
Jeden Tag kommen mehr Schreckensmeldungen ueber neue Gewalttaten und
neue Todesopfer im Nahen Osten. Glauben Sie, dass der palaestinensisch-
israelische Konflikt je geloest wird?
Avnery:
Ja. Dieser Krieg koennte jede Sekunde zu Ende sein - wenn Washington das
wollte. Es kommt einzig und allein auf die USA an. Aussenminister Colin
Powell reist zurzeit als Vermittler in der arabischen Welt herum.
Aber: Bis er in Israel eintrifft, gibt er Scharon genuegend Zeit,
seine Offensive durchzuziehen. Das ist doch ein abgekartetes Spiel.
Die Amerikaner denken gar nicht daran, wirklich einzuschreiten.
Sie zwingen Scharon nicht, wirklich etwas zu aendern.
heute.online:
Aber die arabischen Staaten ueben doch bereits erheblich Druck auf
Washington aus.
Avnery:
Darum ist Praesident Bush jetzt schliesslich auch gezwungen, zu handeln.
Die Massendemonstrationen in Aegypten, Jordanien und Marokko haben sich
ja auch gegen die eigenen Regierungen gerichtet. Diese wiederum schicken
Hilferufe nach Washington, weil sie furchtbar Angst vor einem pro-
palaestinensischen Aufstand in den eigenen Laendern haben. Ein Volk wehrt
sich gegen seine Unterdruecker. Das macht gerade Koenigshaeusern, wie dem
saudischen, ungemein Angst.
heute.online: Welche Rolle spielen die Europaeer in dem ganzen Prozess?
Avnery: Ach, die Europaeer haben doch klaeglich versagt. Sanktionen
wuerden schon etwas bewirken, aber darueber wird ja erst einmal geredet.
Europa hat sich ganz schlapp benommen, was im Uebrigen ein großer Fehler
ist. Denn wenn die arabischen Staaten unter Druck geraten und wirklich
die Oel-Schraube anziehen, wuerde das auch die Europaeer empfindlich
treffen.
heute.online:
Was bedeutet die Eskalation für Scharons Politik?
Wird er auf Dauer an der Macht bleiben?
Avnery:
Nein, das wird ihn den Kopf kosten. Heute ueben nicht mehr nur die Linken,
sondern auch Rechten Kritik an ihm. Zwei rechte Minister sind ja kuerzlich
zurueckgetreten, aus Protest gegen ein angeblich "nicht ausreichend hartes
Vorgehen" gegen die Palaestinenser. Jetzt allerdings ist ein ganz extremer
Rechtsradikaler Minister geworden, der praktisch die ethnische Saeuberung
velangt. Unser Alltag ist ein Teufelskreis der Gewalt, aus dem es kaum
einen Ausweg gibt. Scharon hat uns ausserdem auf ganz schreckliche Weise
gezeigt, wie die andauernde Besatzung unser Volk zu Grunde richtet und
Dinge moeglich macht, die vorher undenkbar gewesen waeren.
heute.online:
Sie meinen den Skandal um die Augenbinden und die Nummern, die die Armee
den palaestinensischen Gefangenen auf die Arme geschrieben hatte?
Avnery:
Ja, zum Beispiel. Das ist ein schreckliches Zeugnis fuer das, was aus diesem
Land geworden ist. Die ersten Opfer der Besatzung sind wir selber. Bei einer
Sitzung hoher Armee-Kommandeure soll einer der Offiziere gesagt haben:
"Wir muessen von allen Besatzern der Geschichte lernen - auch von den
Deutschen im Ghetto von Warschau."
heute.online:
Gerade den Deutschen bereitet es Probleme, offen Kritik an Israel zu ueben.
Da schwebt dann immer gleich der Vorwurf des Antisemitismus im Raum.
Avnery:
Ich wende mich entschieden dagegen, dass Kritik an Israels Politik gleich-
zusetzen ist mit Antisemitismus. Kritik ist berechtigt. Sie ist das demokra-
tische Recht jedes Menschen. Deutsche Geschichte sollte dahin fuehren, sich
mehr fuer Rechte der Palaestinenser in Israel einzusetzen. Sicher ist der
Staat damals von Juden aus ganz Europa gegruendet worden, die selbst vor
Verfolgung flohen. Heute sind wir und die Palaestinenser die "Opfer der Opfer".
Ich widersetze mich dem Antisemitismus-Argument aufs Schaerfste. Dafuer,
dass sich die Rechten bei so etwas dann einklinken, koennen die Kritiker
nichts. Wir wollen und brauchen keine Sonderbehandlung - weder positiv noch
negativ. Mir sind die Philosemiten oft genauso grauenhaft wie die Antisemiten.
Wenn eine Regierung eine vollkommen unmoralische Politik betreibt, dann
koennen die Deutschen sich nicht ausklinken, weil Grossvaeter grauenhafte
Dinge getan haben. Sie muessen sich einmischen.
heute.online:
Wie wirkt sich die Eskalation des Konflikts auf Ihre Bewegung aus?
Hat das Interesse zugenommen oder schweissen der Krieg und die Kritik aus dem
Ausland die Israelis so zusammen, dass sie erst recht zu Scharon und seiner
Offensive stehen?
Avnery:
Nein, wir haben viel groesseren Zulauf in letzter Zeit. Jetzt sind wir gerade
dabei, wieder zwei grosse Demonstrationen vorzubereiten und wir rechnen mit
vielen Teilnehmern. Frueher wurde nie oeffentlich Kritik geuebt an der
Palaestinenser-Politik. Jetzt berichten auch normale israelische Medien
kritisch ueber die Lage, es gibt Kriegsdienstverweigerer, die in besetzten
Gebieten nicht Dienst tun wollen. Das zeigt, dass die Menschen umdenken.
Zur Person
Urs Avnery, Journalist, Autor und Friedensaktivist, wurde als Helmut Ostermann
1923 in Beckum in Westfalen geboren. 1933 wanderte die Familie nach Palaestina
aus. 1949 kaufte Avnery, uebrigens ein Schulkamerad von Spiegel-Herausgeber
Rudolf Augstein, im Jahr 1949 die unbekannte Zeitschrift 'Ha'olam Ha'zeh'
(Diese Welt), um sich mit dem Wochenblatt als Herausgeber und Chefredakteur ein
Sprachrohr gegen das israelische Establishment zu verschaffen - und fast jedes
Tabu zu brechen, das es in Israel damals gab. Um dem verschaerften Pressegesetz
von 1965 zu entgehen, gruendete Avnery eine eigene Partei und gewann im selben
Jahr bei der Knessetwahl ein Mandat. Seit 1992 setzt er den Kampf fuer Frieden,
Gerechtigkeit und Menschenrechte im Friedensblock 'Gush Schalom' fort.
Der Autor ist Traeger zahlreicher internationaler Auszeichnungen. Er hat unter
anderem 2001 den alternativen Nobelpreis erhalten und wird am 4. Mai mit der
Carl-von-Ossietzky-Medaille der Stadt Oldenburg geehrt.
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